04.11.2024 / Nachhaltigkeit & Soziales
Eine Nacht für mehr Menschlichkeit
In Darmstadt leben derzeit rund 1264 Menschen ohne festen Wohnsitz. Obwohl diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, bleibt sie alarmierend hoch. Um auf die Herausforderungen der Obdachlosigkeit aufmerksam zu machen, veranstaltete der SV Darmstadt 98 zum zweiten Mal eine Open-Air-Übernachtung im Merck-Stadion am Böllenfalltor.
Gerade in der kalten Jahreszeit ist das Leben auf der Straße besonders hart, insbesondere nachts. Um Menschen mit einem Dach über dem Kopf die schwierigen Lebensumstände Obdachloser näherzubringen, organisierte der SV Darmstadt 98 diese besondere Übernachtungsaktion. In diesem Jahr nahmen 50 Fans und Interessierte teil – eine Steigerung um 20 Prozent im Vergleich zur Premiere der Aktion im Vorjahr.
Für den treuen Lilienfan Henri war die Teilnahme eine Selbstverständlichkeit. Drei Gründe motivierten ihn besonders, an diesem Abend erneut teilzunehmen: „Man wird sich wieder bewusst, was man im Alltag oft vergisst, nämlich dass es Menschen gibt, denen es nicht so gut geht. Außerdem ist es ein echtes Abenteuer, eine Nacht im schönen Bölle zu verbringen. Aber das Wichtigste ist: Man unterstützt einen guten Zweck. Und das mache ich natürlich gerne.“
Die Teilnehmer konnten sich gegen eine Spende anmelden und erhielten im Rahmen des Events spannende Einblicke und Vorträge zur Sensibilisierung für das Thema Obdachlosigkeit. In diesem Jahr geht die Spende an die Einrichtung MuKis, eine Unterkunft für Frauen und Kinder. Die Veranstaltung begann mit einer Begrüßung durch den Vizepräsidenten Volker Harr, gefolgt von einer Pressekonferenz der Darmstädter Bürgermeisterin Barbara Akdeniz. Geleitet von Pressesprecher Frank Hornef waren neben Barbara Akdeniz auch Birgit Koss, die Leiterin der Sozialverwaltung,Sebastian Hofbauer von Horizont e.V. und Nicole Frölich von der regionalen Diakonie mit auf dem Podium.
Besondere Eindrücke über das Leben auf der Straße vermittelten Prof. Dr. Christian Kolbe und David Lorenz von der Frankfurt University of Applied Sciences. Ein emotionaler Höhepunkt des Abends war der bewegende Erfahrungsbericht des ehemaligen Obdachlosen Patrick. Anschließend stellte Philip Höfer den Straßenfußballverein benefit e.V. vor, der sich für obdachlose Menschen engagiert. Bevor die Teilnehmer die Nacht unter freiem Himmel verbrachten, sorgte die Lilienschänke für eine wärmende Kartoffelsuppe und eine gemütliche Atmosphäre in der Stadionlounge.
„Das sind ganz normale Menschen“
„Die meisten Obdachlosen sind nicht gefährlich. Man braucht keine Angst zu haben. Es sind normale Menschen. Man kann ruhig hingehen, sie ansprechen und fragen, ob sie Hunger haben.“, erklärte Patrick, der knapp fünf Jahre auf der Straße lebte, den Zuhörern. Er berichtete, wie oft er verächtliche Blicke und Beleidigungen ertragen musste, ohne dass die Menschen ihn wirklich kannten. Dank der Hilfe von Petra Bier, ehrenamtlich und mit ganz viel Herzblut in der Obdachlosenhilfe tätig, schaffte er es, die Straße hinter sich zu lassen. Jetzt ist er in Therapie und hofft, bald ein „normales“ Leben führen zu können – mit einer Wohnung, einem Job und vielleicht einer Freundin. „Es muss nicht perfekt sein“, sagt Patrick, „aber ein halbwegs normales Leben.“
Auch Bürgermeisterin Akdeniz appellierte an die Bevölkerung: „Wir haben in Darmstadt eine Wohnungssicherungsstelle. Jeder, der von Wohnungslosigkeit bedroht ist, sollte sich rechtzeitig dorthin wenden. Es gibt viele Hilfsmöglichkeiten, bevor die Obdachlosigkeit eintritt. Gerade jetzt, in der kalten Jahreszeit, ist es wichtig, hinzuschauen und nicht wegzusehen.“